PANORAMA Nr. 623 vom 6.3.2003 Frisierte Berichte, gefälschte Beweise Wie Bush für den Krieg mobilisiert Anmoderation Anja Reschke: Willkommen zu PANORAMA. Während sich einige CDU-Politiker dem amerikanischen Präsidenten bisweilen hemmungslos an die Brust werfen und ergeben seinen Ausführungen über den geplanten Irak-Krieg lauschen, hat es George Bush mit seinen eigenen Mannen etwas schwerer. Ausgerechnet sein Geheimdienst macht Ärger. Die CIA hatte die Aufgabe, im Irak Beweise für Saddams Massenvernichtungswaffen und seine Nähe zur Al Kaida zu besorgen. Aber die Agenten haben ihren Job wohl nicht zur Zufriedenheit des Präsidenten ausgeführt. Und wenn George Bush jetzt immer wieder neue Behauptungen über das irakische Waffen- und Terrorpotential aufstellt, so ist eins gewiss: Von der CIA stammen sie nicht. John Goetz und Volker Steinhoff über einen Präsidenten, der seinem eigenen Geheimdienst nicht mehr traut. Kommentar: Mediale Kriegsvorbereitung im amerikanischen Fernsehen. Jeden Tag wird vor Saddams Giftwaffen gewarnt. Und immer wieder: Saddam und Bin Laden arbeiten zusammen. Die große Hoffnung: der Krieg. Die Dauerpropaganda zeigt Wirkung. Alle fühlen sich, auch im Alltag, durch Saddam bedroht. Die Mehrheit der Amerikaner glaubt mittlerweile sogar, dass Saddam Hussein höchstpersönlich hinter den Anschlägen des 11. September steht. Frage: "Hat Saddam etwas mit dem 11. September zu tun?" 0-Töne (Übersetzung) Mann: "Saddam Hussein hat noch sehr viel mehr gemacht. Wir sollten nicht vergessen, was in New York passiert ist." Frau: "Ich würde gern denken, dass Saddam nicht hinter dem Anschlag steckt. Aber ich glaube doch, dass er es tut." Frau: "Er hatte wahrscheinlich viel damit zu tun, er hat es unterstützt." Kommentar: Dieser völlige Unsinn ist das Ergebnis von erfolgreicher Desinformation. Er weiß, wie so etwas funktioniert: Ray McGovern, ehemaliger CIA-Topagent. Jahrelang erstattete er den täglichen Geheimdienstbericht beim Präsidenten: George Bush senior. Dessen Sohn hält er für restlos beratungsresistent. 0-Ton Ray Mc-Govern: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Seit dem 11. September gibt es Druck von der Regierung, Beweise dafür zu finden, dass der Irak etwas mit dem Anschlag zu tun hatte. Der Präsident, das muss ich leider sagen, hat diese Verbindung von Anfang an angedeutet. Und die Amerikaner – es tut mir leid um sie – glauben ihm das auch noch, obwohl die Geheimdienste immer das Gegenteil gesagt haben." Kommentar: Vor allem geht es um die CIA, Amerikas wichtigsten Geheimdienst. Hier hat der Krieg längst angefangen – intern. Präsident Bush will von CIA-Chef Tenet Beweise, um den Krieg zu beginnen. Doch die gibt es laut CIA gar nicht. Erster Fall: Saddam und die Terroristen. In diesem geheimen CIA-Schreiben vom 7. Oktober schreibt Geheimdienstchef Tenet: "Bagdad scheint sich bisher klar abzugrenzen gegenüber terroristischen Anschlägen." Das CIA-Schreiben ist erst wenige Stunden alt, da tritt Präsident Bush vor die Kameras. Den Inhalt verkehrt er ins Gegenteil. 0-Ton George Bush: (Übersetzung) (US-Präsident, 7.10.2002) "Der Irak könnte jederzeit biologische oder chemische Waffen an Terroristen geben." 0-Ton Ray McGovern: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Die Ethik der CIA entspricht unserem Motto: Du sollst die Wahrheit suchen. Und wir haben das sehr ernst genommen. Wenn wir also keine Beweise für eine Verbindung des Irak mit Terroristen sehen, schreiben wir so etwas auch nicht." Kommentar: Nächster Fall: Die angebliche Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen. Der CIA-Chef hat seine Erkenntnisse der Bush-Regierung schriftlich mitgeteilt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Angriff beginnt, bleibt – in der absehbaren Zukunft – gering." Kommentar: Während die CIA also von einer geringen Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen ausgeht, behauptet Bush wenige Stunden später öffentlich das genaue Gegenteil: Das Risiko sei einfach zu groß, dass Saddam sie benutze. 0-Ton George Bush: (US-Präsident, 7.10.2002) "The risk is simply too great that he will use them." Kommentar: Auch Robert Baer war bei der CIA, jahrelang eingesetzt bei verdeckten Operationen im Irak. Er wundert sich. 0-Ton Robert Baer: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Es gibt keine unmittelbare Bedrohung durch den Irak, klar? Wenn Saddam Raketen hat, dann hat er sie irgendwo vergraben. Es dauert Monate, die auszubuddeln. Und wir kennen auch keine Belege für VX-Gift, Anthrax oder Ähnliches. Es gibt keine konkreten Beweise, dass Saddam so was hat." 0-Ton Ray McGovern: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Der logische Schluss ist: Die Geheimdienstinformation wurde frisiert, nach dem Willen der Politik. Und das ist für einen Geheimdienst ein Unding. Das ist die verbotene Zone, das macht es überflüssig, überhaupt einen Geheimdienst zu haben." Kommentar: Nächster Fall: Saddam und die Atombombe. Laut Bush steht der Diktator kurz davor, selbst Nuklearwaffen herstellen zu können. 0-Ton George Bush: (Übersetzung) (US-Präsident, 7.10.2002) "Wir können natürlich warten und hoffen, dass Saddam seine Waffen nicht an Terroristen gibt oder die Welt mit einer Atombombe erpresst. Aber das widerspricht allen Fakten." 0-Ton Ray McGovern: (Übersetzung) "Laut Bush können die Iraker innerhalb eines Jahres Atombomben bauen. Dabei dauert das nach der offiziellen Geheimdienstschätzung mindestens zehn Jahre. Man fragt sich also, woher der Präsident seine Informationen bekommt. Ich will ihm nicht Unehrlichkeit vorwerfen, aber wie kann er so naiv sein und zu Rumsfeld gehen und erwarten, eine ehrliche Antwort zu bekommen." 0-Ton David MacMichael: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Ich denke wirklich, dass die Bush-Regierung die Geheimdienste unter Druck setzt, nicht vorhandene Beweise zu liefern, Beweise für eine unmittelbare Bedrohung durch einen terroristischen Angriff mit chemischen, biologischen oder anderen Massenvernichtungswaffen und für eine Verbindung Al Aaidas mit dem Irak." Kommentar: Bush und Rumsfeld, sie üben seit Monaten diesen Druck auf die CIA aus. Trotzdem ließen sich die Agenten nicht ganz auf die befohlene Linie bringen. Deshalb hat der Verteidigungsminister inzwischen eine eigene Geheimtruppe gegründet, als Konkurrenz zur CIA. 0-Ton Robert Baer: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Die CIA hat immer gesagt: Hört mal, es gibt zu wenig Erkenntnisse, um Saddam Terrorismus vorzuwerfen. Doch Rumsfeld sagte nur: ‚Das ist nicht gut genug. Gebt uns einfach, was ihr habt, wir entscheiden selbst.' Und er hat eine bunte Truppe zusammengewürfelt – ein paar Ex-Anwälte, PR-Berater und Zivilisten – und die sagen: ‚Lasst uns dies nehmen oder das da, schon haben wir die Anklage fertig'." Kommentar: Rumsfelds privater Geheimtrupp leistete ganze Arbeit. Endlich gab es angebliche Beweise für die zweifelnde Weltöffentlichkeit, etwa dass Saddam eine Atombombe baut. Mit diesen neuen "Beweisen" wurden in den letzten Wochen auch die UN-Inspektoren im Irak losgeschickt. Doch das Ergebnis ihrer Prüfung ist verheerend ausgefallen. 0-Ton David Albright: (Übersetzung) (ehem. UN-Inspektor Irak) "Man hat oft den Eindruck bei der Bush-Regierung, es ist ihnen egal. Man sagt: "Das hat nicht gestimmt", sie sagen: "Okay", und dann wiederholen sie es doch wieder öffentlich. Oder sie sagen: "Egal, geht der Sache trotzdem weiter nach". Manchmal müssen die Inspektoren einfach weiter untersuchen, obwohl sie längst wissen: Das ist alles Müll." 0-Ton Ray McGovern: (Übersetzung) (ehem. CIA-Agent) "Geheimdiensterkenntnisse sollten wie eine Jungfrau behandelt werden. Wenn man sie aber zur Prostitution frei gibt, wie das das Weiße Haus gerade macht, verlieren sie ihre Jungfräulichkeit, und nichts ist dann mehr so wie vorher." Kommentar: Präsident Bush hat sein Ziel fast erreicht: den Krieg gegen Saddam Hussein. Und viele Medien trommeln mit. FOX-TV, Amerikas meist gesehener Nachrichtenkanal. Der beliebteste Einpeitscher des Millionenpublikums: Starmoderator Bill O'Reilly. 0-Ton Bill O'Reilly: (Übersetzung) "Wenn der Krieg beginnt, erwarten wir von jedem Amerikaner: entweder für das Militär oder das Maul halten. Amerikaner und auch unsere ausländischen Verbündeten, die aktiv gegen uns sind, gelten dann als Staatsfeinde." Kommentar: Hetze, Einschüchterung, Desinformation – mit grotesken Ergebnissen. 0-Töne (Übersetzung) Frage: "Glauben Sie, dass Saddam die USA mit Massenvernichtungswaffen angreift?" Frau: "Wenn wir nicht aufpassen, klar, dann kann das passieren." Mann: "Absolut. Sie werden die USA mit chemischen Waffen angreifen." Frau: "Ich höre, dass der Irak viele Atombomben hat und unsere Westküste treffen kann. Sehr beunruhigend." Kommentar: Beunruhigend, in der Tat, denn offenbar bestimmen Gefühle und Meinungen, nicht aber Tatsachen über Krieg oder Frieden. Bericht: John Goetz, Volker Steinhoff Schnitt: Karen Menge