Ostermarsch 4.4.2015 in Erlangen

Redebeitrag Anne-Lore Mauer

(Beauftragte für Flüchtlingsarbeit und Asylfragen im Evang.-Luth. Dekanat Erlangen)



Krieg als Fluchtursache



Ob ich ein paar Worte zu Krieg als Fluchtursache sagen könnte, wurde ich gefragt, als Beauftragte des Evangelischen Dekanats Erlangen für Flüchtlingsarbeit und Asylfragen.

Das ist einfach und schwierig zugleich: die häufigste Fluchtursache ist ein Krieg. Der einzelne leidet unter Fehlentscheidungen von Staaten, deren diplomatische Fähigkeiten erschöpft sind. Unter der Gewalt der Militärs und zusammengebrochenen oder instrumentalisierten Rechtssystemen. Jede Frau, die in einem Land mit eskalierter Gewalt lebt, leidet zudem unter einer für uns unvorstellbar hohen Wahrscheinlichkeit, sexualisierte Gewalt zu erleben. Dazu kommt dort, wo ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist, die Verzweiflung der eigenen Geschwister, die sich gewaltvoll Bahn bricht. Brüder (und gelegentlich auch Schwestern), die kein anderes Mittel sehen, als mit Gewalt zu versuchen, Gerechtigkeit herzustellen.

Unsere Gesellschaft neigt dazu, eine Wertigkeit einzubauen: wer flieht, weil Armeen Krieg führen, kann mit dem meisten Verständnis rechnen. Schließlich kann er oder sie nichts für die Fehlentscheidungen auf höchster politischer oder militärischer Ebene.

Wer flieht, weil ein Bürgerkrieg das Land im Griff hat, kann erst nach ausführlicher Berichterstattung und Reflektion der Situation durch Medien und Fachleute mit Empathie rechnen. Schließlich ist er oder sie ja „eine von Ihnen“. Da braucht es intelligente Menschen in den Medien und in unserem Land, die erkennen, dass Krieg immer Krieg ist, egal, an welcher Stelle er vermeintlich eskaliert ist.

Wer flieht, weil er oder sie diskriminiert wird als Bevölkerungsgruppe, aber es herrscht ansonsten kein Krieg im Land, dem oder der wird erst mal unterstellt, er oder sie sei selber daran schuld. Im besten Fall ist noch das jeweilige Land daran schuld. Aber meistens eher die Bevölkerungsgruppe selbst. Wir haben das grade bei Sinti und Roma, aber auch bei anderen ethnischen oder religiösen Minderheiten die ihre Region oder ihr Land verlassen müssen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen, obwohl kein genereller Kriegszustand ausgebrochen ist. Ihnen gegenüber aber eben schon. Um solche strukturellen Diskriminierungen zu erkennen und benennen zu können, wer daran die Hauptschuld trägt, braucht es einen klaren Blick auf Unrechtsstrukturen in der Welt. Und in unserer Gesellschaft. Das ist schon sehr herausfordernd - ist man doch einmal sogar selbst ein Teil des Problems, indem man Teil einer weltweiten Struktur ist. Was einem da abverlangt wird, ist viel mehr Mut, viel mehr Wach-sein und eingestehen eigener Ressentiments, als bei der Verurteilung eines Kriegs, der weit weg ist und bei dem eigene Vorurteile eigentlich kaum hinterfragt werden müssen.

Wer flieht, weil er oder sie aufgrund eigener Entscheidungen oder sozialer Zugehörigkeiten (zum Beispiel Homosexuelle, Transsexuelle, hierzu gehören unter Umständen auch politisch Aktive) verfolgt wird, braucht eine kräftige Lobby und menschenfreundliche Fürsprecher, um mit Unterstützung rechnen zu können. Hier ist viel Verstand nötig, Verstand, um unrechte, lebenszerstörende Einschränkungen sehen zu können. Es braucht ein hohes Maß an Menschlichkeit, von den eigenen Bedürfnissen, der eigenen Sexualität, der eigenen politischen Meinung, abstrahieren zu können. Und zwar nicht auf eine irgendwie ethnisch definierte Menschengruppe hin, sondern auf den einzelnen hin – auf seine Angst, seine konkreten diskriminierenden oder entwürdigenden Erfahrungen, die ihn oder sie zur Flucht getrieben haben, auf seine Hoffnung, auf seinen Wunsch nach Würde.



Jetzt habe ich weit ausgeholt - denn über Krieg an sich lässt sich viel sagen, aber wenn wir über verschiedene Gründe für Flucht sprechen, dann ist Krieg nicht wichtiger oder gar schwerer zu fassen als andere Fluchtgründe. Im Gegenteil: Krieg ist selbst für diejenigen, die „Gutmensch“ ernsthaft als Beschimpfung verwenden, oftmals ein einigermaßen verständlicher Grund für eine Flucht. Selbst un-empathische Menschen ahnen, dass krieg so eine massive Bedrohung ist, dass flucht der einzige Ausweg sein kann. Die Gefahr für Leib und Seele ist so massiv, dass jeder Meter Entfernung die Chance auf das überleben erhöht.

Wie unfassbar, dass wir oft erst bei den letzten 500 Metern die Hand reichen.

Damit machen wir die Hoffnung zunichte, dass jeder Meter Entfernung vom Punkt der Gefahr, eine Chance sein könnte: allein die Meter zwischen Nordafrika und Südeuropa, die Meter in dubiosen Auffanglagern und über europäische Außengrenzen… sie wären selbst schon ein Grund zur Flucht. Eine überfährt auf einem überfüllten Kahn ohne ausreichend Wasser, über ein Meer, auf dem schon so viele gestorben sind... nichts wie weg!! Aber diese Kilometer übers Meer sind der einzige Weg für viele. Für andere ist es der Landweg, an Grenzposten vorbei, im zugesperrten LKW oder zu Fuß in der Dunkelheit mit den Wachmännern im Nacken.

Sind sie schon mal nachts vor etwas weggerannt, das sie bedrohte? Ich schon. Wie gut, wenn endlich die Stadt in Sicht kommt, wo Häuser sind, eine erste Straßenlaterne Licht auf den Fluchtweg wirft. Wie gut, wenn es endlich Licht gibt, der Angreifer besser erkannt werden kann und die Schatten nicht mehr ganz so bedrohlich sind, wenn ein Ziel in Sicht ist, ich Häuser und Schutz erkennen kann.

Die Flucht aus Kriegsgebieten lässt kaum Straßenlaternen zu. Es bleibt monatelang oder jahrelang unsicher, die Schatten bleiben mächtig und greifen um sich. Diese Anspannung hält an, bis endlich jemand erlaubt, hier oder in einem anderen sicheren Land ankommen zu dürfen. Nicht nur der Krieg ist traumatisierend, spätestens die Fluchterfahrungen sind meist traumatisch - und lösen oft einen inneren krieg aus, der noch jahrelang geführt wird. Hoffnung kämpft gegen Angst, Gewalt gegen Sehnsucht, der Drang nach Leben gegen die so greifbare Erfahrung des Todes. Die Sehnsucht nach Licht kämpft gegen die Erschöpfung und den Wunsch, anzuhalten.

Wie unglaublich, dass wir bei einem abgestürzten Flugzeug, das weder letzter Ausweg für irgendjemanden war, noch die einzige Route, so viel Mitleid haben können. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist schlimm und die Folgen für die Hinterbliebenen sind schrecklich schmerzhaft.

Würden wir bei den 56 Millionen Flüchtlingen, die zur Zeit weltweit unterwegs sind, aber annähernd so viel Berichterstattung haben, dann hätten wir allein heute für 100 Jahre Material für die Nachrichtensendungen. Und zwar durchgehend, auf drei Sendern. Und jeden Monat käme so viel Material dazu, dass ein weiteres Jahr zu den 100 Sende-Jahren dazu kommt.

Aber bei Fluchtwegen, die wir Europäer völlig ohne Alternativen bereitstellen (oder eher: noch nicht zu hundert Prozent abgesichert haben), da ist es ein Nebenschauplatz der Nachrichtenerstattung, dass jedes Jahr Tausende sterben. Wie schäbig. Dabei ist das ein Krieg. Ein Krieg, der in Europa geführt wird und der einen riesigen Schaden anrichtet: Das ist der Krieg Europas an seinen Außengrenzen. Er wird hier vor Ort nur geführt mit Worten und rechtlichen Entscheidungen. An den Außengrenzen wird er illegitim geführt, mit Push-Back-Aktionen und der Verweigerung, Menschenleben auf hoher See zu retten.

Zwei starke Gegner im Kampf: Desinteresse, eine scheinbare Wirtschaftlichkeit, tief sitzende Rassismen, der Wunsch nach einem ungestörten System und die eigene Verlustangst kämpfen in unserer Gesellschaft und in ganz Europa gegen ihren Feind: Menschlichkeit. Empathie. Fürsorge.

Wie gut, dass Sie, dass wir, auf unserer Seite so gute 'Waffen' haben: Liebe, Offenheit, politische Engagementbereitschaft, einen wertschätzenden Blick auf andere und einen Glauben, der uns den Wert jedes einzelnen Menschen so deutlich macht. Und die `Waffe`, selbst Verantwortung übernehmen zu dürfen, jeden Tag neu, unabhängig von einer Dogmatik. Einfach aus uns heraus, aus Menschlichkeit und einem tiefen Verständnis von Würde.

Lassen sie uns mit diesen Werten den Weg von Flüchtlingen sowohl im Einzelnen als auch politisch wie mit Straßenlaternen beleuchten.

Machen wir Licht.

Alle Straßenlaternen an.

Die Flutscheinwerfer an.

Knipsen wir die Sonne für alle an…

Denn Flucht ist nötig. Aber wir können sie täglich einfacher machen.

Danke.